Teil 3 der Achtsamkeitsreise – Gefühle und Gedanken

In den ersten beiden Teilen habe ich über Meditationspraktiken berichtet, die auf den Atem und Körperempfindungen gerichtet waren. Während der Meditation stellt man fest, dass der Geist ein unstetes Wesen ist. Gedanken und Gefühle tauchen auf und verschwinden wieder. Bislang haben wir in der bisherigen Meditationspraxis diesen Gedanken und Gefühlen keine Aufmerksamkeit geschenkt. Nur insofern, dass wir sie wahrgenommen und akzeptiert haben und uns sodann wieder dem Atem oder einer Körperempfindung zugewandt haben.

In dem heutigen Artikel ändern wir die Praxis und wenden uns den Gedanken und Gefühlen zu. Diese sind nicht immer schön und können unangenehm sein. Aber gerade dann ist es wichtig, ihnen mit Achtsamkeit zu begegnen.

Gedanken kreisen ständig in unserem Kopf herum, auch wenn wir es nicht wollen. Vor allem, wenn diese Gedanken negativer Natur sind. Solche Gedanken lösen dann auch gleichzeitig weitere Assoziationen aus, die dann oftmals mit unangenehmen Gefühlen verbunden sind, was sich unter Umständen auch körperlich bemerkbar machen kann.  Meist neigen wir dazu, uns von diesen negativen Gedanken und Gefühlen ablenken zu wollen, sei es durch fernsehen, dem Internet oder, oder, oder… Manchmal geht das sogar gut und wir fühlen uns für den Moment besser, aber meist kommen die Gedanken wieder. Wehrt man sich permanent dagegen, kann dies dazu führen, dass später selbst die Ablenkung keine Wirkung mehr zeigt.

Oftmals neigen wir dann auch dazu, in einen Problemlösungsmodus zu verfallen, in welchem wir versuchen, eine Lösung zu finden, um die negativen Gefühle und Gedanken loszuwerden. Während meiner Depression bin ich dadurch oftmals in Gedankenkreisel geraten, die mich immer weiter heruntergezogen haben. Aus diesen Grübeleien habe ich oftmals kein Entkommen gesehen, so dass ich mich noch schlechter gefühlt habe und praktisch Sklave meiner eigenen Gedanken war.

Aber auch im Sport auf den Ultradistanzen bin ich oft negativen Gedanken und Gefühlen ausgesetzt, insbesondere wenn die Läufe 24 Stunden oder länger andauern. Es kommt der Punkt, an dem Schmerzen auftauchen. Man fragt sich nach dem Sinn des Ganzen und warum man seinem Körper nur so etwas antut.

Doch wie kann man solchen Gedanken und Gefühlen entgegentreten, ohne in die entsprechenden Muster zu verfallen, die uns in eine Abwärtsspirale drängen können?

Auch hier hat mir Meditation Wege gezeigt, mit schwierigen Gedanken und Gefühlen umzugehen. Allerdings muss ich auch hier betonen, dass dies kein Patentrezept ist und nicht pauschal auf jeden von uns anwendbar ist.

Nichtsdestotrotz möchte ich Euch beschreiben, wie ich gelernt habe, damit umzugehen:

Ich versuche, meine Erfahrung unangenehmer Gefühle von der nachfolgenden Reaktion des Grübelns und der Ablehnung abzukoppeln bzw. mich aus dem Griff der Aversion zu befreien, wenn ich bereits in meinen Gedanken gefangen bin.

Dies geschieht dadurch, dass ich auf meine Gedanken und Gefühle zugehe, was zunächst paradox klingt, da man nun meint, dass ich meinen Gedanken damit doch erst recht Aufmerksamkeit schenke. Doch der Unterschied liegt darin, dass ich den Gedanken und Gefühlen nicht die Aufmerksamkeit schenke, indem ich nach einer Problemlösung suche, sondern dass ich sie wahrnehme und erkenne, als das, was sie tatsächlich sind. Nämlich nur Gedanken und Gefühle.

Wenn Gedanken in uns hoch kommen, meinen wir oft, dass die Bilder, die wir sehen, real sind. Sind dies negative Gedanken, schrillen sofort die Alarmglocken. Dies setzt uns unter Stress. Doch besteht in der aktuellen Lage tatsächlich eine Gefahr für Leib und Leben? Meist doch wohl nicht. Unser Gehirn macht da aber keinen Unterschied. Hier wird deutlich, dass unser Gehirn noch wie in der Steinzeit reagiert. Dort war es sicherlich wichtig, ständig auf der Hut zu sein, um nicht von irgendeinem Säbelzahntiger gefressen zu werden, aber in unserer heutigen modernen Welt, besteht diese Gefahr nicht mehr. Nichtsdestotrotz schlägt unser Gehirn Alarm und versetzt uns in Kampfbereitschaft, was sich durch eine Anspannung der Muskulatur bemerkbar macht.

Wenn wir nun auf die Gedanken und Gefühle zugehen, so wie sie sich im Körper offenbaren und ihnen in diesem Moment eine offene, raumgebende und zuneigungsvolle Aufmerksamkeit schenken, kommen wir mit dem Alarmsignal in eine neue Beziehung. Man nimmt die Rolle eines Beobachters ein und erkennt, dass die Gedanken nur Gedanken und keine Realität sind. So können wir uns aus dem Problemlösungsmodus befreien, da wir erkennen, dass keine reelle Gefahr besteht. Wir können den Kreislauf des Grübelns durchbrechen. So lernen wir dann auch mit unseren Gefühlen umzugehen. Wenn wir uns unseren Gefühlen zuwenden und diese beobachten, werden wir schnell merken, dass die mit den negativen Gedanken verbundenen negativen Gefühle nicht von Dauer sind. Wir merken, dass sie flüchtige Phänomene sind, die den Geist wie Wolken durchziehen. Je mehr wir erkennen, dass die Gedanken keine reelle Gefahr darstellen, desto leichter ziehen diese Wolken  vorbei und lösen sich gar auf.

Wir sehen also, dass es nicht notwendig ist, sich gegen die Gedanken und Gefühle zu wehren. Eine offene und liebevolle Aufmerksamkeit führt zu der Erkenntnis, dass wir Gedanken und Gefühle aus dem Sein-Modus heraus beobachten können, anstatt in den “Problemmodus” zu fallen, der uns in immer neue Grübeleien führt.

Es ist allerdings nicht leicht, sich seinen Gedanken und Gefühlen so zu stellen. Vor allem am Anfang neigen wir dazu, uns von bestimmten Gedankenströmen mitreißen zu lassen. Daher ist hier eine kontinuierliche Übung notwendig. Aber so wie der Muskel eines Sportlers trainierbar ist, so ist unser Geist auch trainierbar.

Ich möchte nun eine praktische Anleitung zu einer Meditation im Umgang mit Gedanken und Gefühlen darstellen, so wie ich sie praktiziere. Ihr seid herzlich eingeladen. Ihr dürft aber keine Wunder erwarten. Geduld ist hier das Zauberwort, so wie in allen anderen Achtsamkeitspraktiken:

1. Begib Dich in Deine bevorzugte Meditationsposition und schließe die Augen. Komme erst einmal auf Deinem Platz an und spüre Deinen Körper und die Unterlage.

2. Richte nun in freundlicher Haltung die Aufmerksamkeit auf den Atem und den damit verbundenen Empfindungen. Wie er in den Körper hinein- und wieder hinausströmt. Verweile so einige Momente. Wenn Du bemerkst, dass  Deine Gedanken abschweifen, erkenne dies und führe Deine Aufmerksamkeit wieder liebevoll zu Deinem Atem.

3. Richte nach einiger Zeit Deine Aufmerksamkeit auf Deine Körperempfindungen. Was spürst Du? Spürst Du vielleicht ein Kribbeln, eine Anspannung in den Muskeln, Kälte oder gar Wärme? Was immer es ist, heiße es willkommen und richte Deine Aufmerksamkeit in liebevoller Haltung darauf. Erlaube Deinem Körper so zu sein, wie er gerade ist. Auch wenn unangenehme Empfindungen auftauchen, nehme dies bewusst wahr, gehe aber nicht darauf ein. Beobachte, was passiert, ohne auf die mögliche Störung zu reagieren.

4. Solltest Du durch eine unangenehme Empfindung den Drang verspüren, Deine Position zu verändern, so darfst Du das natürlich tun. Nimm Dir aber Zeit und versuche Deine Bewegung in die neue Position aufmerksam zu verfolgen.

5. Lass nun die Körperempfindungen in den Hintergrund treten und richte die Aufmerksamkeit auf die Geräusche in Deiner Umgebung. Nimm die Geräusche jeweils einzeln wahr. Versuche nicht, sie zu benennen, sondern nimm sie lediglich als Geräusche wahr. Versuche auch nicht, Dir vorzustellen, woher diese Geräusche stammen. Nimm einfach wahr, was ist, ohne es zu bewerten. Beobachte einfach, was passiert. Nimm wahr, wie Du auf die Geräusche reagierst. Stören sie vielleicht, weil der Nachbar zu laut Musik hört? Beobachte Deine Reaktion. Nimm das Geräusch weiter wahr und versuche es nicht zu bewerten und beobachte, was passiert, wenn Du es erlaubst, dass das Geräusch da ist. Sei nicht zu streng zu dir, wenn das nicht so klappt.

6. Lass die Geräusche nun in den Hintergrund treten und richte Deine Aufmerksamkeit in liebevoller Haltung Deinen Gedanken zu. Sehe sie nicht als Störung, sondern als Objekt der Meditation. Beobachte die Gedanken und Bilder, wie sie in Deinem Geist auftauchen und wieder verschwinden. Lass Dich nicht von einem Gedankenstrom mitreißen, sondern nimm die Position eines Beobachters ein. Beobachte nur und beschäftige Dich nicht mit dem Inhalt der Gedanken. Stell Dir vor, Du sitzt an einem Fluss und die Gedanken fließen auf den Wellen in dem Fluss an Dir vorbei. So wie der Fluss ständig in Bewegung ist, so ist unser Geist auch ständig in Bewegung. Schaue einfach zu, ohne zu bewerten. Manchmal wirst Du bemerken, dass Du von Gedanken mitgerissen wirst. Das ist in Ordnung. Werde Dir dies bewusst und kehre wieder ins “Hier und Jetzt” zurück. Beobachte Deine Gedanken weiter, so wie sie gerade auftauchen, seien es angenehme oder unangenehme Gedanken. Sie dürfen einfach da sein, ganz ohne Wertung.

7. Rufe nun einen Gedanken ins Gedächtnis, der für Dich unangenehm ist. Es muss nichts sonderlich wichtiges sein, sondern nur etwas, was Du in irgendeiner Weise als unangenehm empfindest. Beobachte nun diesen beunruhigenden Gedanken ohne jedoch auf ihn selbst einzugehen. Was für Empfindungen spürst Du in Deinem Körper? Nehme die Gefühle wahr, die bei diesem Gedanken auftauchen und erforsche sie. Wie reagiert Dein Körper? Spürst Du einen Druck im Hals oder ein Engegefühl in der Brust? Spürst Du eine Schwere oder hast gar Tränen in den Augen? Richte Deine Aufmerksamkeit mit einer inneren Umarmung und einer liebevollen Willkommensgeste direkt auf die Körperregion, in welchem die Empfindung am stärksten ist. Atme in diesen Bereich hinein und auch wieder heraus. Erforsche die Wahrnehmung und die Stärke der Empfindung. Bemerke, wie die Empfindung von Moment zu Moment erst größer und dann auch wieder kleiner wird. Sei Dir stets bewusst, dass Gefühle zum Menschsein dazu gehören. Sie dürfen da sein. So wie sie gerade sind. Du darfst sagen: Es ist in Ordnung. Was immer da ist, es ist da. Möge ich dafür offen sein. Es ist in Ordnung. Es geht bei diesem Satz nicht um eine Bewertung der Situation und dass man sich einredet, dass alles gut sei. Diese Formulierung soll lediglich dem Bewusstsein zu helfen, offen gegenüber allen Empfindungen zu bleiben. Es geht also nicht darum, sich irgendetwas einzureden.

8. Beobachte weiter Deine Gedanken und Deine Gefühle. Beobachte, wie sich mit der Zeit die Gefühle verändern. Auch wenn die Gefühle starke körperliche Reaktionen auslösen, sei Dir bewusst, dass Gefühle wie Wellen auftauchen. Sie kommen und sie gehen wieder. Sie bleiben im Fluss und ziehen weiter. Beobachte diesen Fluss ohne weiter auf die Gedanken und Gefühle einzugehen. Sei einfach ein Beobachter. Durch diese Distanz verlieren die schlimmen Gedanken und Gefühle ihren Schrecken. Sei ihnen weiterhin offen und liebevoll gegenüber. Du muss nichts verdrängen. Alles darf so sein wie es ist.

9. Lasse nun Deine Aufmerksamkeit los. Sei einfach nur da, im “Hier und Jetzt”. Verweile in diesem Moment.

10. Richte nun die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem. Nimm Kontakt zu Deiner Umwelt auf und öffne die Augen. Strecke Dich und bleibe noch einen Moment sitzen.

Die Meditation mit den Gedanken und Gefühlen ist nicht einfach und bedarf viel Übung. Aber man lernt, seine Gedanken aus einer gewissen Distanz zu beobachten ohne einschreiten zu müssen. Dies bewirkt, dass negative Gedanken und die damit einhergehenden Gefühle immer weniger Macht auf einen selbst ausüben werden. Du lernst damit umzugehen, ohne die Gedanken und Gefühle verdrängen zu müssen.

 Fühle Dich eingeladen, die Meditation auszuprobieren. Es ist jedoch ratsam, dass Du die Meditationen aus Teil 1 und 2 bereits praktizierst.

In der nächsten Woche werde ich mich dem “Atemraum” und dem offenen Gewahrsam widmen. Bis dahin wünsche ich Euch alles Gute.

Euer

Thorsten